Erinnerung an die Gründung des Kreises Dinslaken vor 100 Jahren

Anlass:

Veranstaltung zur Erinnerung an die Gründung des Kreises Dinslaken vor 100 Jahren

Datum:

26.04.2009

Ort:

Rathaus Dinslaken

Autor:

Dr. Horst Griese, Oberkreisdirektor a.D.

100 Jahre Altkreis Dinslaken

 

I.

Nachdem nach den napoleonischen Kriegen 1815 auf dem Wiener Kongress sein Staatsgebiet neu festgelegt worden war, richtete Preußen landesweit als untere Verwaltungsebene Kreise ein. Dabei entstand 1816 aus dem ehemals kleveschen Gebiet von Schermbeck bis Duisburg auch ein erster Kreis Dinslaken; aber er hielt sich nur sieben Jahre, denn infolge der Ruhrgebietsdynamik änderten sich wiederholt Zuschnitt und Name der Kreise. Zuletzt gehörte der Raum Dinslaken zum Kreis Ruhrort. Als 1905 Ruhrort in die Stadt Duisburg eingemeindet wurde, lag der Kreissitz plötzlich außerhalb des Kreisgebietes. In dieser anomalen Situation sah der Direktor des Dinslakener Bandeisenwalzwerkes und Kreistags-abgeordneter Julius Kalle die Chance für Dinslaken, erneut Kreissitz zu werden, und stellte im Kreistag einen entsprechenden Antrag. Dagegen gab es Widerstand, vor allem aus der damals noch kreisangehörigen Gemeinde Hamborn. Denn von den 130.000 Einwohnern des verbliebenen Kreises hatte Dinslaken gerade einmal 6.000, sein einziger Trumpf war die Mittelpunktlage. Die Entscheidung zog sich daher lange hin, schließlich aber gab es seit dem 01. April 1909 doch wieder einen Kreis Dinslaken.

Aber keine 10 Jahre später wurde es schon wieder eng für seinen Fortbestand. Denn 1911 wurde Hamborn kreisfreie Stadt. Kreisfreiheit war jetzt auch das Ziel von Dinslaken und Sterkrade. Die einvernehmliche Aufteilung von Hiesfeld im Jahre 1917 auf diese beiden Städte brachte Sterkrade noch im selben Jahr an sein Ziel. Dinslaken aber hatte die erforderliche Einwohnerzahl von 40.000 damit noch nicht erreicht und strebte daher weitere Eingemeindungen an, aber die Nachbarn winkten ab; der Kreis Dinslaken blieb.

Der neue Kreis Dinslaken wurde in einer Zeit gegründet, als die Industrie des Ruhrgebiets in den Raum Dinslaken vordrang. Das erste Unternehmen war das 1897 von August Thyssen gegründete Bandeisenwalzwerk in Dinslaken. Es gelangte zu europäischem Ruhm und beschäftigte bis zu 3.000 Mitarbeiter. Nachdem es den zweiten Weltkrieg heil überstanden hatte, wurde es als Reparationsleistung demontiert.

Um die gleiche Zeit entstand in Walsum ein Zellstoffwerk von Grillo, das aber bald durch eine Papierfabrik ersetzt wurde. 10 Jahre später folgte der Bergbau, zuerst mit dem Schacht Lohberg, an den sich später die heute denkmalsgeschützte Gartenstadtsiedlung anschloss. In Walsum wurde der Schacht Wehofen abgeteuft und schließlich der schon 1904 geplante, aber erst 1939 fertiggestellte Schacht Walsum, einst ein Vorzeige-bergwerk; seine Gebäude sind vor wenigen Tagen gesprengt worden. Neben diesen Großbetrieben geht auch mancher mittelständische Betrieb auf diese Zeit zurück, so die Walzenfabrik von Steinhoff in Dinslaken.

Der erste Weltkrieg unterbrach diese Entwicklung. Auf sein Ende folgte eine Zeit voller Unruhe. Die revolutionären Vorgänge in Berlin führten im November 1918 auch im Kreis Dinslaken spontan zur Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates. Er existierte neben dem Kreistag, der noch während des Krieges aufgrund des reaktionären preußischen Wahlrechts gebildet worden war. Die Zuständigkeiten waren der Natur der Sache nach nicht geregelt. Nach einer Verfügung des Innenministers sollte der Arbeiter- und Soldatenrat sich mit den Versorgungsfragen befassen, die natürlich auch er nicht lösen konnte, der Kreistag dagegen hauptsächlich mit den Finanzen. Diese Arbeitsteilung schien zu funktionieren. Nach der ersten demokratischen Kreistagswahl, die 6 Monate später stattfand, löste der Arbeiter- und Soldatenrat sich auf.

1920 kam es infolge des Kapp-Putsches zu bewaffneten Aus-einandersetzungen zwischen Arbeitersoldaten der illegalen Roten Brigaden sowie Polizei und Reichswehr; dabei gab es über 80 Tote. 1923 wurde der Kreis von belgischen Truppen besetzt und der Landrat 7 Monate in Geiselhaft gehalten. Dazu blühte die Inflation, bis dann endlich im November 1923 die Rentenmark als Reichswährung eingeführt wurde.

Zu den Entbehrungen der Nachkriegszeit trat eine große Wohnungsnot, die verstärkt wurde durch den Flüchtlingsstrom aus den verlorenen Gebieten. Der Kreis kaufte daher für den Bau preiswerter Wohnungen den 900 Hektar großen Truppenübungsplatz Friedrichsfeld, der durch die Demobilisierung der Weseler Garnison verfügbar geworden war, und gründete die Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft für den Kreis Dinslaken, die spätere Wohnbau Dinslaken. Ihr erster Erfolg war die Schaffung von Wohnraum für 3.000 Flüchtlinge.

Zur Kapitalbeschaffung mussten aus dem Gelände allerdings erhebliche Flächen wieder veräußert werden. Daraus erwarben die Hamborner Thyssen Gas- und Wasserwerke den Gutshof Glückauf für die Wasser-gewinnung und Babcock eine große Fläche in Friedrichsfeld, wo dieses Oberhausener Unternehmen 1938 ein vor allem im Kesselbau sehr erfolgreiches Zweigwerk errichtete. Mit dem Niedergang der Mutter wurde es 1999 stillgelegt. Dem Kreis waren noch 540 Hektar verblieben; 35 Jahre später gab das dem Kreis die Möglichkeit zu großflächigen Betriebsansiedlungen in Bucholtwelmen und zum Bau großzügiger Wohnsiedlungen in Friedrichsfeld.

II.

Es folgte auf die Notjahre der Nachkriegszeit eine kurze Phase wirtschaftlicher Erholung, und dann verlangte die Dynamik des Ruhrgebiets Ende der 20-er Jahre erneut eine Gebietsreform. Jetzt sollte nach dem Gesetzesentwurf des Innenministeriums der Kreis wieder aufgeteilt werden. Von Walsum sollte Aldenrade nach Hamborn eingemeindet werden, die Gemeinde Gahlen sollte in den Kreis Recklinghausen eingegliedert werden und das übrige Kreisgebiet mit dem Kreis Rees zu einem neuen Lippekreis mit Sitz in Wesel vereinigt werden. Vor allem sollte aber auch Duisburg zur Ruhrmündungsstadt ausgebaut werden, und dafür sollte unter anderem Hamborn nach dort eingemeindet werden.

Die Stadt Dinslaken sah jetzt noch einmal die Chance, nach Eingemeindung einiger Nachbarn endlich kreisfrei zu werden; aber ohne Erfolg.

Der damalige Landrat Schluchtmann hatte eine neue Idee. Er lehnte den Regierungsplan nicht nur ab, sondern lenkte den Blick statt auf die einzelnen Gemeinden auf den Kreis als Einheit und verlangte, ihn ungeschmälert zu erhalten, - damit er auf Grund seiner ökonomischen und natürlichen Ressourcen zu einer aufgelockerten und gesunden Großstadt zusammenwachsen könne. Seine Argumente legte er im Einzelnen in einer Denkschrift dar und vertrat seine Idee hoch engagiert in vielen Versammlungen im Kreis und in zahlreichen Pressegesprächen. Der Kreistag folgte ihm uneingeschränkt.

Schluchtmann war 1921 Landrat geworden; seit 1919 war er Mitglied des preußischen Landtages, wurde Mitglied seines Ausschusses für Gemeindeangelegenheiten und war dort Sprecher der Landkreise. Er war ein politisches Schwergewicht.

Die Staatsregierung blieb hart, aber an der politischen Front im Landtag setzte Schluchtmann sich durch. Dort zählten allerdings auch noch andere Argumente. Als er bei dem Hamborner Oberbürgermeister einen Verzicht auf Walsums Süden nicht erreichen konnte, verbündete er sich mit dem Duisburger Oberbürgermeister Dr. Jarres und half ihm hinter den Kulissen bei der Eingemeindung von Hamborn. Im Juli 1929 war die Neugliederung beendet, der Kreis Dinslaken war erhalten geblieben. Doch konnte Landrat Schluchtmann sich seines Sieges nicht lange erfreuen, schon ein Jahr später verstarb er. Aber seine Vision von dem zu einer Großstadt zusammenwachsenden Kreis beherrschte seitdem immer wieder die politische Diskussion.

Drei Monate nach der Beendigung der Neugliederung, im Oktober 1929, kam in New York der „Schwarze Freitag“, kein Jahr später hatte auch Deutschland seinen Bankenkrach. Unternehmen brachen zusammen, die Menschen verloren ihre Arbeit, fast die Hälfte der Einwohner des Kreises lebte von der öffentlichen Fürsorge. Das war der Boden für die NSDAP auch im Kreis Dinslaken. Nach wenigen Jahren einer Scheinblüte kam der zweite Weltkrieg. Noch kurz vor seinem Ende, im März 1945, wurden Dinslaken und Walsum vor dem Rheinübergang der Alliierten durch Artilleriefeuer in Schutt und Asche gelegt.

Gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner ging der Rest der Kreisverwaltung unter dem von den Amerikanern zum Landrat ernannten Studienrat Dr. Zorn mit vielen ungelernten Kräften an die Arbeit; wegen der Zerstörung des Kreishauses waren sie über die ganze Stadt verteilt. Schon im Oktober 1946 wurde wieder ein Kreistag gewählt, so dass die Verwaltung nach 13 Jahren wieder eine demokratische Legitimation erhielt. Aber den Menschen fehlte es weiter an allem und dazu strömten wieder Tausende von Flüchtlingen und Vertriebenen in den Kreis. Der Kreis war so hart getroffen, dass die Landesregierung 1947 seine Auflösung erwog, aber unter dem nachwirkenden Eindruck der Schluchtmann-Idee sah sie davon ab.

Nach der Währungsreform 1948 und der Einführung der freien Marktwirtschaft begann auch hier ein stürmischer Wiederaufbau. Die Wirtschaft boomte, es entstand Vollbeschäftigung und die Bevölkerung des Kreises wuchs von 80.000 im Jahre 1950 auf 143.000 im Jahr 1971. Der Kreis und die Gemeinden konnten nun viele Einrichtungen der Daseinsvorsorge schaffen, wie Kindergärten, Jugendheime oder Begegnungsstätten für alte Menschen. Das Berufsschulwesen wurde ausgebaut und das kulturelle Leben gefördert, wie das Haus der Heimat oder die Burghofbühne. Unter dem Oberkreisdirektor Dr. Becker wurde die Volkshochschule gegründet, die unter Kulturamtsleiter Dittgen eine vielseitige Bildungseinrichtung wurde. Vor allem konnte jetzt zur Beseitigung der Wohnungsnot der Wohnungsbau in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß mobilisiert werden. In Friedrichsfeld lief ein Demonstrativprogramm an, das 850 Wohnungen vorsah.

Jetzt war auch die Zeit gekommen, wieder ein Kreishaus zu bauen, 1951 wurde es eingeweiht. Es ist in die Reste der alten Burg eingepasst und strahlt Harmonie und Behaglichkeit aus; ich habe mich in diesem Haus immer sehr wohl gefühlt.

In den sechziger Jahren wurde die Fürsorge für Behinderte ein neuer Schwerpunkt in der sozialen Aufgabenstellung des Kreises. Er unterstützte die Eltern behinderter Kinder bei der Schaffung einer Tagesstätte im Franz-Hitze-Haus in Walsum, indem er durch erhebliche Kostenzuschüsse dessen spezifischen Ausbau ermöglichte. 1970, schon vor einer gesetzlichen Regelung, beschloss er die Errichtung einer eigenen Sonderschule. Er erwarb ein ehemaliges Schulgebäude in Bucholtwelmen und baute es zu dem modernen Förderschulzentrum „Waldschule“ aus. Ein nächster Schritt war die Unterstützung der Lebenshilfe bei der Schaffung einer Behindertenwerkstatt, die sich inzwischen mit vier Zweigbetrieben, in denen 550 behinderte Menschen arbeiten, zu einem ertragsbewußten Produktionsunternehmen entwickelt hat.

Wie im übrigen Ruhrgebiet beruhte auch im Kreis Dinslaken der wachsende Wohlstand auf der Kohle. Doch in den 50-er Jahren begann sie zu kriseln. 1958 waren 62 % der Industriebeschäftigten des Kreises im Bergbau tätig, so dass die Monostruktur des Kreises Anlass zu Besorgnis gab. Wirtschaftsförderung und Auflockerung der Wirtschaftsstruktur wurden das zentrale Thema der Kreispolitik. Daher wurde die Ansiedlung der BP-Ruhrraffinerie auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in Bucholtwelmen unter dem Oberkreisdirektor Richter als großer Erfolg gefeiert. Das war Anlass für die bisherigen Kleingemeinden Bucholtwelmen, Hünxe und Bruckhausen, sich zur größeren Gemeinde Hünxe zusammenzuschließen. Die Raffinerie wurde 1960 von Bundeswirtschaftsminister Erhardt eingeweiht. Sie schuf 600 Arbeitsplätze und verschaffte zahlreichen Gewerbebetrieben Einnahmen für Serviceleistungen.

Die Raffinerie sollte ihr Rohöl per Pipeline vom Umschlaghafen Wilhelmshaven beziehen und wollte ihre Produkte per Schiff, Bahn und Straße versenden.

Am Beginn des Lippe-Seiten-Kanals entstand daher ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittener zweiter Ölhafen. Er wurde von der Rhein-Lippe-Hafen GmbH gebaut; deren Gesellschafter waren die Kreise Dinslaken und Rees sowie Wesel und Voerde. Es konnte nun auch das von der mittelständischen Wirtschaft lange erwünschte Anschlussgleis von Bucholtwelmen zum Bahnhof Spellen durch die dafür als Eigenbetrieb gegründete Kreisbahn Dinslaken realisiert werden. Die Kosten für Hafen und Bahn wurden auf die BP und die anderen Interessenten umgelegt. Leider ist die Raffinerie aufgrund von Strukturveränderungen in der Mineralölwirtschaft 1985 stillgelegt worden. Nach einem Recycling des früheren Werksgeländes und ihrer Neuerschließung sind diese Flächen jetzt ein bedeutendes Potential des Lippemündungsraumes.

Das Preisdumping der Import-Kohle führte den Bergbau immer tiefer in die Krise. Die Zechen reagierten mit Aufhaldung, Rationalisierung und Arbeitsplatzabbau. Die Beschäftigtenzahl im Bergbau sank von 13.000 im Jahr 1958 auf 9.000 im Jahr 1971. Zur Stabilisierung des Bergbaus setzten Bund und Land vor allem auf die Kohleverstromung und die Herabsubventionierung der heimischen Kohle auf das Niveau der Import-Kohle durch den neu eingeführten „Kohlepfennig“, eine auf den Stromverbraucher abgewälzte Abgabe. Schon Mitte der fünfziger Jahre hatte das Verbundbergwerk Walsum unter seinem Vorstand Dr. Barking aus eigener Initiative ein mit ihm integriertes Kraftwerk errichtet. Als 10 Jahre später von der STEAG der Bau eines weiteren Kohlekraftwerkes in Möllen geplant war, sah sie sich mit ihren Befürwortern schärfsten Bürgerprotesten ausgesetzt, die selbst vor persönlichen Diffamierungen nicht Halt machten – damals war das jedenfalls neu. Aber aus Sorge um die Arbeitsplätze im Bergbau stimmte der Kreistag dem Vorhaben mit breiter Mehrheit zu. Das Kraftwerk ging 1971 in Betrieb und verbraucht jährlich 4 Millionen Tonnen Kohle, was damals der Jahresförderung eines Bergwerks entsprach.

Durch den Kreis wurde um die gleiche Zeit in Voerde im Einvernehmen mit der Gemeinde im Ortsteil Emmelsum eine Aluminiumhütte mit 550 Arbeitsplätzen angesiedelt. Auch sie diente wegen ihres kontinuierlich hohen Strombedarfs der Stabilisierung der Steinkohle und wurde daher vom Land großzügig gefördert. Hiergegen gab es die selben scharfen Proteste wie gegen das Kraftwerk.

Die Infrastrukturanforderungen des damals amerikanischen Unter-nehmens waren hoch, aber unter dem Druck der Bergbaukrise wurde vom Land alles voll finanziert. Die Kernforderung war ein Rheinhafen, in den Schubverbände, die die Tonerde von Rotterdam brachten, unaufgelöst einfahren können, womit zugleich der Standort des Werkes vorgegeben war. Für ihn mussten über 50 Einzelgrundstücke zu einem bestimmten Termin verfügbar sein, was der Kreis durch Verhandlungen seines Vermessungsdirektors Klein mit den Eigentümern erreichte. Der Kreis wurde auch Bauträger des Hafens und konnte nach Fertigstellung sogar einen erheblichen Betrag an das Land zurückgeben.

Neben dem Hafen erwarb der Kreis auf diese Weise noch weitere Industriegrundstücke und ein Bahngleis vom Hafen und vom Werk zum Bahnhof Spellen. Von nun an ist die gesamte Fläche südlich des Lippe-Seiten-Kanals vom Rhein bis Bucholtwelmen durch ein Bahngleis der Kreisbahn erschlossen. In Verbindung mit der Autobahn und der nördlich des Kanals verlaufenden Kreisstraße ist dies heute ein bedeutender Teil des Logistikstandorts Lippe-Mündungsraum, wo der Kreis Wesel und die Gemeinde Hünxe manchen modernen Betrieb haben ansiedeln können. Die Entwicklung dieses gesamten zukunftsträchtigen Raumes liegt bei der RheinLippe-Hafen GmbH, zu der jetzt als Gesellschafter auch Dinslaken und Hünxe gehören.

Insgesamt war die Wirtschaftsentwicklung im Kreis so erfolgreich, dass das Bruttoinlandsprodukt von 75 % des Landesdurchschnitts im Jahr 1957 auf 111 % im Jahr 1971 stieg, gegenüber 84 % aller Kreise im Land.

III.

Anfang der 60-er Jahre wurden bundesweit Raumordnung und Landesplanung gewichtige Politikfelder. Es ging um die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Landesteilen und darum, ob die bestehenden Gemeinden und Kreise für die daraus folgenden Aufgaben die erforderliche Leistungsfähigkeit besitzen oder ob es dafür Gebietsänderungen bedürfe. Das wurde beurteilt aufgrund komplizierter moderner Theorien, zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und jeder Menge Statistik. Es wurde die Stunde der Landesplaner.

Nachdem die Landesregierung beschlossen hatte, auch für die Neugliederung des Ruhrgebietes an dem überkommenen Modell der Gemeinden und Kreise festzuhalten, wurden Anfang 1972 die Oberkreisdirektoren aufgefordert, Vorschläge zur Neugliederung ihrer Gemeinden zu machen. Unsere Gemeinden hatten sich bereits positioniert. Dinslaken und Walsum waren für eine modifizierte Großstadtlösung, Voerde wollte ungeteilt und selbständig bleiben, Hünxe und Gartrop strebten gemeinsam eine lippeüberschreitende Lösung an, Gahlen hatte bereits mit Dorsten einen Gebietsänderungsvertrag abgeschlossen. Ich bin der Idee Schluchtmanns und damit den Vorstellungen der Stadt Dinslaken gefolgt und habe die Bildung einer neuen Stadt Dinslaken vorgeschlagen, ohne Gartrop und Gahlen. An die Kreisfreiheit der neuen Stadt war jedoch nicht mehr zu denken, das Land hatte für die Kreisfreiheit eine Einwohnerzahl von 200.000 für Städte in dem unmittelbar an die Ballungskernstädte angrenzenden Gebiete vorgegeben; die neue Stadt Dinslaken käme aber nur auf 140.000 Einwohner. Der alte Kreis Dinslaken hätte in ihr daher nicht aufgehen können. Ausgangspunkt für den Vorschlag war die Stadt Dinslaken; der Kreis konnte es nicht sein, denn Kreise sind nur ergänzende Körperschaften. Sie war ein gut ausgestattetes Mittelzentrum in der Ballungsrandzone. Ihr Einzugsgebiet umfasste den gesamten Kreis, bis auf Gahlen, und sie sollte nach der Landesplanung zu einem Entwicklungszentrum erster Ordnung angehoben werden. Damit war die Stadt Kristallisationspunkt für den Anschluss weiterer Gemeinden.

Voerde hatte keinen Siedlungsschwerpunkt mit Ansätzen für ein Mittelzentrum. Als Gemeinde der Ballungsrandzone konnte es nach der Landesplanung daher nicht selbständig bleiben. Da die Verflechtungen mit Dinslaken nicht zuletzt wegen der angesiedelten Industrien bis Friedrichsfeld reichten, war es ungeteilt mit Dinslaken zu vereinigen.

Auch für die Ballungsrandgemeinde Hünxe sprach nicht nur die landesplanerische Präferenz für die Vereinigung mit seinem Mittel-zentrum, sondern es sprachen dafür auch wie bei Voerde eindeutige Verflechtungen.

Walsum gehörte zwar zur Ballungskernzone, wie das übrige Ruhrgebiet. Aber seine funktionalen Verflechtungen bestanden weit überwiegend mit Dinslaken. Es bildete mit Dinslaken sogar einen einheitlichen Lebensraum, schon ein Gutachten der Sachverständigenkommission für die Neugliederung hatte daher die Vereinigung mit Dinslaken nahegelegt.

Gartrop und Gahlen sollten wegen ihres ländlichen Charakters nicht in die neue Stadt einbezogen werden.

Soviel aus meiner Begründung für die Großstadtlösung. Im Frühjahr 1973 kamen als Diskussionsgrundlage die vorläufigen Vorschläge des Innenministeriums. Sie waren enttäuschend. Als erstes vermisste man den Vorschlag zur Bildung der angestrebten Großstadt. Dafür war für Walsum in erster Linie die Eingemeindung nach Duisburg vorgeschlagen. Es war daher, getrennt vom übrigen Kreisgebiet, dem Neu-gliederungsraum Ruhrgebiet zugeordnet. Das beruht auf einer Intervention aus Moers, mit der man sich während der administrativen Vorüberlegungen dagegen verwahrte, dass nach ihnen Duisburg linksrheinisch weit in die Ballungsrandzone hinausgreifen solle, während es rechtsrheinisch nicht einmal den Ballungskern voll erfasse.

Aber Walsum findet sich auch im Vorschlag für den Niederrhein mit dem übrigen Kreis wieder, wo alternativ auch der Zusammenschluss mit Dinslaken nahegelegt wurde. Primär sollte Dinslaken allerdings nicht um Walsum, sondern um Eppinghoven, Bruckhausen und die südliche Hälfte von Voerde vergrößert werden. Dessen nördliche Hälfte sollte dann zusammen mit Bucholtwelmen Wesel zugeschlagen werden. Von einem Selbständigbleiben Voerdes war also nicht die Rede. Das skelettierte Hünxe und Gartrop sollten mit Drevenack eine neue Gemeinde bilden, und Gahlen sollte mit Schermbeck vereinigt werden.

In Bezug auf Voerde und Hünxe wurde in dem Diskussionspapier ebenfalls eine Alternative aufgezeigt. Danach könne die Gemeinde Voerde auch ungeteilt mit dem angrenzenden Bucholtwelmen, beide aber ohne das Gebiet zwischen Lippe-Seiten-Kanal und Lippe, nach Dinslaken eingegliedert werden. Denn die dortigen Industrien seien aus wirtschaftlichen Bedürfnissen mit Mitteln des Raumes Dinslaken angesiedelt worden.

Mit diesem und kombiniert mit dem Alternativvorschlag für Walsum war indirekt auch der Zusammenschluss von Dinslaken mit Walsum und einem ungeteilten Voerde offen gehalten.

Nach zahlreichen Anhörungen folgten in der zweiten Jahreshälfte 1973 die Gesetzesentwürfe. Sie hielten sich ausschließlich an die Hauptvorschläge der vorangegangenen Diskussionsentwürfe. Alter-nativen gab es nicht. Walsum sollte also definitiv nach Duisburg eingemeindet werden. Aber bei allen Gesetzesentwürfen bleibt die Chance, dass sie in der parlamentarischen Beratung geändert werden; daran knüpfte sich hier einige Hoffnung. Immerhin war das ursprünglich nicht vorgesehen, auch hatte das Innenministerium ja in seinem Diskussionsentwurf zu einem alternativen Zusammenschluss mit Dinslaken festgestellt, das Hamborn durch die Eingemeindung Walsums nicht gestärkt würde und Duisburgs Entwicklung mehr auf die linke Rheinseite gerichtet sei. Walsum spielte also für die Neuordnung Duisburgs zunächst nur eine Nebenrolle, und schien daher verhandelbar.

Von wirklich strategischem Interesse war für Duisburg allein der linksrheinische Raum um Moers; er nahm daher sowohl in den Vorarbeiten als auch in der Gesetzesbegründung breiten Raum ein. Denn hier wurde die Entstehung einer echten Konkurrenzsituation erwartet, die eine Aufwertung der schwachen oberzentralen City behindern würde. Sowohl die Vorarbeiten wie der spätere Gesetzentwurf sahen daher alternativlos die Eingemeindung des gesamten Moerser Einzugsbereichs bis Neukirchen-Vluyn vor. Aber das wurde schon zu Beginn der parlamentarischen Beratung als exzessiv verworfen und sogleich reduziert auf den engeren großstädtischen Verflechtungsbereich; als der wurden die Umlandgemeinden der Ballungskernzone ausgemacht, also linksrheinisch insbesondere Homberg und Rheinhausen, rechtsrheinisch war das Walsum. Damit war Walsum nun nicht mehr Nebensache, sondern war plötzlich wesentlicher Bestandteil einer spontanen Alibilösung für das Neugliederungsproblem Duisburg. Walsums Schicksal stand damit fest. Nur der Verzicht auf diese Behelfslösung überhaupt hätte Walsum noch retten können. Das ist in der Tat von einigen einflussreichen linksrheinischen Abgeordneten noch in letzter Minute versucht worden mit der Begründung, dass diese Eingemeindungen für Duisburg ohne jeden Nutzen seien, sie seien eine rein politische Lösung. Genau deshalb musste dieser Versuch auch scheitern. Damit war auch das Projekt Großstadt Dinslaken tot.

Auch im Fall Voerde und Hünxe war der Gesetzentwurf kompromisslos, er zielte auf Teilung. Damit entsprach er der nachdrücklichen Forderung Wesels, Friedrichsfeld und Bucholtwelmen einzugemeinden; der Südteil Voerdes und Bruckhausen sollten entsprechend nach dem Gesetzes-entwurf nach Dinslaken eingemeindet werden. Der Leiter der Neugliederungsgruppe im Innenministerium sah in Voerde nur eine Ansammlung von Ortschaften, um die eine Gemeindegrenze gezogen sei. Für viele war die Neugliederung hier wohl schon so gut wie gelaufen; Wesels Bürgermeister hielt sogar schon einmal eine Pressekonferenz mitten in Voerde ab. Es war daher die ganz große Überraschung, als der Landtag sich über die Argumentation des Ministeriums hinwegsetzte und beschloss, dass Voerde selbständig und ungeteilt bleibt, bis auf die Flächen zwischen Lippe-Seiten-Kanal und Lippe; selbst Innenminister Willy Weyer protestierte dagegen. Entsprechend behielt Hünxe Bucholtwelmen bis zur Kanalfront und außerdem Bruckhausen. Dinslaken verblieb jetzt von dem ihm im Gesetzentwurf zugedachten Zuwachs nur Eppinghoven; aber zugleich musste es den Verlust seines Gebietsanteils am Wohnungswald östlich der Voerder Straße hinnehmen, der wurde nach Voerde eingemeindet, weil er dort mehr Schutz erwarten könne, wie in den Zeitungsberichten zu lesen war.

Dem Beschluss des Landtages war allerdings intensive Lobbyarbeit vorausgegangen. So haben Bürgermeister Pakulat und Gemeindedirektor Urban permanent den Landtag aufgesucht und ihn geradezu belagert, um für Voerde zu werben. Dabei hatten sie in dem Friedrichsfelder Abgeordneten Pauly einen findigen Strippenzieher, dem es in dem Gestrüpp der Interessen gelang, quer durch die Fraktionen die notwendigen Allianzen zustande zu bringen. Besonders bauen konnte er dabei auf den FDP-Abgeordneten Neu, der aus Krudenburg stammte und für Hünxe unterwegs war.

Nach Abschluss der Neugliederung stellt sich die Frage, was sie denn für den sich als Einheit verstehenden Raum Dinslaken gebracht hat. Die Antwort kann nur negativ sein, hier wurde eine erfolgreiche Einheit zerschlagen, statt sie zu stärken. Aus Walsum ist ein vergessener Stadtteil geworden, Voerde und Hünxe sind haarscharf an der Teilung vorbei geschrammt und haben interessante Industrieflächen verloren. Dinslaken ist um einige Einwohner gewachsen, hat aber ein beliebtes Stück Naherholungsgebiet eingebüßt, die Gemeinden des Amtes Gahlen sind nicht mehr in einen Amtsverband eingebunden, aber haben dafür ihre autonome Gestaltungsmacht eingebüßt.

Der Kreis Dinslaken existiert nicht mehr. Er zeichnete sich neben seiner Leistung auch durch seine Bürgernähe aus, zu der auch seine geringe Größe beitrug. Bürgernähe ist auch das Bestreben seines Nachfolgers, des Kreises Wesel, gerade wegen seiner Größe, auch seine Leistung kann sich sehen lassen; aber das Zusammenwachsen der Bevölkerung wird durch den Rhein zumindest sehr erschwert. Für seinen Gebietszuschnitt hatten sich auch andere Lösungen anerkannter Autoritäten angeboten. Die Gründe, weshalb man die rhein-überschreitende Lösung gleichwohl beschlossen hat, bedürfen näherer Darlegung.

Auch die Kreisneugliederung wurde vorwiegend an raumordnerischen Zielsetzungen orientiert; historische, traditionelle und ähnliche Zusammenhänge hatten ausdrücklich zurückzutreten. Damit war für den Niederrhein als herausragendes Element der Raumordnung die Rheinachse mit ihrer Bündelung von Verkehrs- und Versorgungsbändern in den Mittelpunkt der Entscheidung gerückt. An der Rheinachse, so wird ausgeführt, habe sich in letzter Zeit auch am Niederrhein eine rasche Entwicklung angebahnt, die in ihrem Schnittpunkt mit der Lippeachse ihren Ursprung habe. Zu dem größeren Raum, der durch die Entwicklung in diesem Schnittpunkt beeinflusst werde, gehörten rechtsrheinisch Wesel und Dinslaken, linksrheinisch „zumindest“ Rheinberg, das durch die damals erwartete VEBA-Ansiedlung „eine rasche Entwicklung nehmen“ werde; dabei handelte es sich um ein gigantisches petro-chemisches Kombinat im Orsoyer Rheinbogen. Auch Kamp-Lintfort lasse sich „mit gewissen Einschränkungen“ zum Bereich des weiteren Lippemündungs-raumes rechnen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten der zu diesem Raum gehörenden Gemeinden beiderseits des Rheins würden steigen, zumal bei weiteren Industrieansiedlungen in diesem Raum die Umwelt-belastungen des Gesamtraumes zunehmend berücksichtigt werden müssten. „Die Berücksichtigung der künftigen Entwicklung macht es zwingend erforderlich, auch den südlichen Bereich des nieder-rheinischen Raumes in einem rheinüberspannenden Kreis zusammenzufassen“.

Das für die Einheit des Kreises Dinslaken desaströse Ergebnis der Neugliederung warf auch die weitere Frage auf, ob das nicht durch eine rechtzeitige freiwillige Vereinigung hätte verhindert werden können, so wie sie Schluchtmann vorgeschwebt hatte. Das ist sicherlich anzunehmen. Dieses Thema war bei Heranziehen der Neugliederung auch Gegenstand zahlreicher Diskussionen auf allen Ebenen der Politik und der Verwaltungen, nicht zuletzt aufgrund von Initiativen der Stadt Dinslaken. Aber Schluchtmanns Vision hatte den Gemeinden ihren Status quo erhalten, sie einem konkreten Vereinigungsdruck jedoch nicht ausgesetzt. Sie sahen daher auch in einer freiwilligen Vereinigung in erster Linie einen Schritt, der mit der Aufgabe von Selbständigkeit und Einfluss verbunden gewesen wäre, von ihrer ablehnenden Haltung ließen sie sich auch nicht durch den Dinslakener Vorschlag einer Ortschafts-verfassung abbringen. Dabei hatte Walsum seine Situation allerdings falsch eingeschätzt und ist so zu spät eingeschwenkt; aber zwischen den beiden Städten Walsum und Dinslaken war das Klima lange Zeit vergiftet. Mit der Neugliederung ist Schluchtmanns Vision verflogen.

Den beabsichtigten großen Wurf hat sie nicht gebracht, aber ihr hat es der Kreis Dinslaken zu verdanken, dass er bis 1975 überlebte. In den 65 Jahren seines Bestehens hat er manche Akzente gesetzt und es haben sich auch Bindungen entwickelt, die die Neugliederung überdauert haben. So sind die drei aus dem Kreis übriggebliebenen Gemeinden Dinslaken, Voerde und Hünxe gemeinsam Träger der Volkshochschule und der Sparkasse, sie sind sich verbunden geblieben in ihrer Mitgliedschaft beim Flugplatz „Schwarze Heide“ und bei der Rhein-Lippe-Hafengesellschaft. Auch die Heimatvereine, selbst der Walsumer, sind weiter im Dachverband „Land Dinslaken“ vereint.

Der Kreis Dinslaken existiert nun schon 35 Jahre nicht mehr, aber er hat bis heute deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.