Rede von Herrmann Klein anlässlich des ihm verliehenen „Dinslakener Pfennigs” am 25. September 2014

Hermann Klein

Vorbemerkung

Rede von Herrmann Klein anlässlich des ihm verliehenen „Dinslakener Pfennigs” am 25. September 2014 in der Evangelischen Kirche in Götterswickerhamm.

Erinnerungen

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Vorstandsmitglieder des Verein für Heimatpflege Land Dinslaken und des Heimatvereins Voerde,

meine Damen und Herren, liebe Heimatfreunde,

eigentlich bin ich gegen jede Auszeichnung für Arbeiten, die einem Spaß machen und die man auch für sich selbst tut. Wenn sich jemand in solchen Fällen mal beklagte, habe ich ihm stets erklärt, statt zu räsonieren müsse er Kurtaxe dafür bezahlen. Den Dinslakener Pfennig, den Nobelpreis für Heimatfreunde, kann man aber nicht ablehnen. Allerdings war ich sehr verwundert, dass ich mich hier in Gesellschaft von so verdienten Preisträgern wie Willy Dittgen und Frau Dr. Litschke wiederfinde, das konnte ich aufgrund meiner Arbeiten nicht erwarten.

Mein Dank gilt allen, die mich über die nun schon vielen Jahre unterstützt haben, insbesondere den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Archiven und in den Verwaltungen, die jederzeit ansprechbar und hilfsbereit, mich mit Rat und Tat unterstützt haben, und der engeren und weiteren Familie und den Freunden für Informationen, Unterlagen und sonstige Hilfen.

Ganz besonders danke ich meiner Frau, die mir mit großer Zuverlässigkeit den Rücken frei gehalten hat für alle meine mehr oder weniger verrückten Ideen und Tätigkeiten. Sie ist Mitarbeiterin, Lektorin, Korrektorin und Ratgeberin in allen Lebenslagen, eben der Hund hinter dem Hasen.

Einen ganz herzlichen Dank auch den heutigen Festrednern, insbesondere dem Laudator Herrn Dr. Veltzke.

Warum interessiert man sich für Heimatgeschichte?

Ich gehöre einer zahlenmäßig großen und alten Familie an, die ihre Wurzeln und Mitglieder in mehreren Voerder Ortsteilen hat, in Möllen, Holthausen, Götterswickerhamm und Mehrum. Böse Zungen behaupten, ich hätte wegen der familiären Verhältnisse keine Voerderin heiraten dürfen.

Wir hatten damals schon einen Bürgermeister in der Familie, den Bürgermeister von Löhnen Wilhelm Klein, der 1950 maßgeblich an der freiwilligen Vereinigung von Voerde und Löhnen beteiligt war. Man traf sich häufig zu allen möglichen Anlässen wie Geburtstagen, Schlachtfesten, gemeinsamen Arbeitseinsätzen u.s.w.. Dabei wurde erzählt und diskutiert. Als Kind machte man große Ohren, und als Jugendlicher fragte man sich: Was meinen die eigentlich und wie kommen sie zu ihrer Meinung? Als Vermesser und Planer befasst man sich von Berufs wegen mit Geschichte und Archiven.

Beides war wohl genügende Grundlage für die verschiedenen Arbeiten über die Heimatgeschichte. Dazu kam noch, dass unsere Muttersprache Plattdeutsch ist. Noch heute unterhalten sich ältere Familienmitglieder und Freunde auf Platt. Das und die Kenntnisse über alte Handschriften waren die Grundlage für die Übertragungen in heute lesbare Druckschrift.

Ich erinnere mich, dass ich als Gymnasiast Aufsätze im Fach Deutsch in Platt gedacht und dann übersetzt habe. Als der Lehrer Wächter bei einem Besuch bei uns meinen Bruder kurz vor seinem ersten Schultag fragte: Wie viel Kühe habt ihr denn?, antwortete der: Tell se doch selver.

Nun zum Thema Erinnerungen:

Meine Erinnerungen erzähle ich in Platt. Falls erforderlich, bitte ich die älteren Anwesenden für ihre Nachbarn zu übersetzen. Angesichts der zumutbaren Zeit möchte ich mich auf eine kurze Spanne nach dem letzten Krieg beschränken. Krieg ist ja heute zum einen wegen der runden Jahrestage, zum anderen durch das aktuelle Tagesgeschehen wieder überall präsent.

Leider Gottes ös de Krieg van Dag all weer en Thema. Wej mödden weer Soldaten in de ganze Welt schecken, as wenn de Lüj die alden Schlammassel schon vergäten hebben. Ek glöv, sej hebben ömmer noch nit mehr Verstand äs in de Steentid.

Äver Schluss met Schwattsien. Bej Kriegsend wor ek tien Johr. Dor süt de Welt för son Blag ziemlich bont üt. Wej woren evakuiert int Mönsterland met en ganzen Trek met Perd on Wagen. Dän twentigsten April sollen et weer na Hus gon. Wej woren all fru op de Strot, äs de Amis ons stoppten. Op Führers Gebordsdag hädden wej fruher ok neks gemakt, also ütspannen.

Äs wej na Hus komen, wor noch föhl kapott. Veh gof et kaum noch. Alles wor met Reparieren te gängs. För et Wohnhusdak wodden alle ganzen Pannen tusamen gesükt. In jedes Fenster gow et noch eene kleine Schief, dat andere wor met Sperholt tugenagelt. För dat Riesenlock in den Giewel hing en Teppich. Omas bestes Silvergeschirr üt de Ütstür, dat in en grooten Iserpott onder Stroh vergrawen wor, hat en Volltreffer, alles war kapott.

Överall logen noch Gewehre on Munition in de Gegend heröm. Als erstes fohnen wej en Maschinengewehr met Ladehemmung. Sofort geng et ant Reparieren. Dor riep Mam för et Ovendäten. Kott drop kom en Amitrupp vörbej on nom dat MG met. Dat wor well ons Glöck. Met de gefohnenen Handgranaten kos man gut feschen, dat kom als nächstes dran.

Äns fohnen wej in de Wej noch en Verpflegungsbombe van de Amis, wo noch wat drin wor. Wej nomen Koffi on Zigaretten met. Et wor Sondags kott för de Meddag. Ek schmokten 4 Zigaretten. Bej et Äten wodden et mej schlech. Pap on Mam tippten op Blenddarm on ek fohn mej int Denslakener Krankenhus weer. Van die Zigaretten heb ek nex gesagt.

Ok de Blagen mossen överall met anpacken. Weil dat Korn noch nit so groot wor, geng et an Blendgänger süken. Wenn wej eenen fohnen, riepen wej die Grooten. De Munition worden an de Strot gedragen oder van de Felder an de Rin direkt int Water geschmeeten.

Alles hadden wej äwer nit gefohnen. Bej et Mäjen gow et enns en grooten Ruck, denn Selvsbender, wo ek drop soot, wor met et iserne Stützrad öwer en Blendgänger gefahren. Pap sprong blass van den Trecker on ek van de Bender. Äns koom en Knech met et Perd ziemlich metgenomen vant Feld. An en Eggentand hat sech en Eierhandgranat met de Reng fassgehangen. Gott sei Dank wor se nit explodiert. Der Mann hät den ganzen Dag nex mehr gedohn.

Äwer ok met die displaced Persons gow et Ärger. Dat Lager wor in Buschmannshof. Sej nomen sek wat se kregen kossen met Gewalt. Eene Cousine van min Vader hebben se dot geschoten. Pap selvs woll twe alde Lüj helpen, äs de Russen öhr de Fahrrär afnähmen wollden. Äs eene Russ in de Lof schot, geng hej gau wer trög. Von Hiesfeld hadden wej 10 Hunder on 1 Hahn gekregen. Die wodden ob de Sölder verstoppt. Äs kot drop de Russen grad weer afgewimmelt woren, krähden den Hahn und alle Hunder woren weer fot.

Wohnraum wodden bewertschaftet. Wej kregen Inquartierung, et ers woren et Familien, die direkt an die Rin wohnden. Man dej sek vertellen, dat die wegen dat Gefangenenlager in Rinberk dor weg mossen. Wechteger wor äver well die Angst för Anschläg op Scheppen on sowat. Dornor kommen Flüchtlinge üt den Osten. Eene alleenstonde äldere Frau ös dann bej ons geblewen.

Schlemm wor dat wachten op onse Soldaten. Van drij Ohmes, die ingetroken wodden woren, kom blos eenen trög. Eenen wor all 43 gefallen, äwer eenen wor noch lang vermesst. Dök komen angebliche Kriegskameraden met Nachrichten van ömm, äwer et stellden sek harüt, dat se blos för en betken wat tu Äten gelogen hadden. Völe Städter komen öm tu hamstern. Dordör kregen wej ok dat ganze Elend met. Wej selvs woren dor noch fein dran. Äwer et wor nit tu glöwen, wievöl Verwandte on Bekennde sich op ens melden deijen. Alldags hat Oma 12

– 15 Lüj an den Desch, Samstags / Sonndags moss för 5 -7 Mann mehr gekokt wodden.

März 46 ging et na Dinslaken op de hooge School, Dr. Zorn nohm selvs de Aufnahmeprüfung af. Wej sohen et erste Mol dat kapotte Denslaken. Ok onse School wor total kapott . Jeden grünen Streep, ok för de School, wor umgespajt on als Garden gebrukt. School wodden in en alde Wehrmachtsbarack met 4 Zemmers gehalen. Afwesselnd wor morges on meddags School. Denstags wo frej. .

Dat sind son paar von de Kriegserinnerungen. Wie gesagt, als Kend sütt man et anders on lechter äs de Grooten.

Meine Damen und Herren,

hier in der Kirche steht noch die Dokumentation über den ersten Weltkrieg mit den Auszügen aus den Schulchroniken, vieles gleicht dem Geschehen aus dem letzten Krieg. Hoffentlich bleiben Menschen und Mächte heute vernünftiger als damals. Das Gedicht aus dem Vorwort, das ich in einem Lesebuch aus den 1920er Jahren gefunden habe, mahnt:

Gedicht aus dem Vorwort eines Lesebuchs aus den 1920er Jahren

Ich wünsche uns allen eine friedliche und segensreiche Zukunft. Nur in einem solchen Umfeld kann ein Engagement für die Heimatgeschichte neutral und erfolgreich sein.

Vielen Dank.