Buchauszug „Unterwegs zwischen Emscher, Rhein und Lippe“

Der nachfolgende Text zur Geschichte des „Landes Dinslaken“ einschließlich der Grafiken sind dem von Dr. Hans Vogt verfassten Buch „Unterwegs zwischen Emscher, Rhein und Lippe – Eine Wanderung durch das Land Dinslaken“ entnommen (Herausgegeben 1995 vom Verein Niederrhein e. V., bei uns erhältlich im Shop). Auf den Seiten 9 bis 13 wird die wechselvolle Geschichte der Region um Dinslaken geschildert.

Das „Land Dinslaken“ – altes klevisches Gebiet zwischen Lippe, Rhein und Emscher

Das geflügelte Wort, dass andere Kriege führen mögen, das glückliche Österreich aber durch Heiraten Besitz und Einfluss zu mehren wusste, gilt auch für Kleve, das auf diese Weise mit der Pfalz und Burgund, ja sogar mit Heinrich VIII. von England verwandt wurde. Und wenn die Berichte und Anzeichen nicht trügen, hat in Kleve schon 300 Jahre zuvor – 1228 – eine politische Heirat stattgefunden. Als nämlich Graf Dietrich VI. die Dinslakener Erbtochter Mathilde ehelichte, führte er mit ihr auch eine Burg und den Einfluss auf ein strategisch hochinteressantes Gebiet jenseits von Rhein und Lippe heim.

Der Schritt über die Lippe

Dinslaken war damals unter den Rittersitzen und Grundherrschaften zwischen Lippe und Emscher, für sich besehen, wohl kaum reich und bedeutend. Dafür war es zu weit ab vom Rhein und lag nicht einmal an einer Verkehrsstraße. Bruchlandschaften und Heideflächen taugten überdies nur für bescheidene Ansprüche. Aber es lag wiederum auch zentral genug, um den Grundnachbarn „Mut“ zu machen, sich unter Kleves Schutz und Schirm zu begeben.

Die Rechnung ging auf. Im 14. Jh. fielen nach und nach die anderen „südlippischen“ Herrschaften in klevische Hand, einige erst auf sehr „nachdrückliche Einladung“. Götterswick und Walsum waren sogar schon 1282 und 1289 zu Kleve gekommen. Von 1429 jedenfalls liegt uns eine Urkunde vor, in der Herzog Adolf I. sein mittlerweile beträchtlich angewachsenes „Land Dinslaken’“ umschreibt: „Außer unserer Burg in der Stadt Dinslaken“ (zählen dazu) die „Kirchspiele Hiesfeld, Walsum, Götterswick, Spellen, Hünxe, Gahlen, Hamborn, Beek, Sterkrade und Meiderich“.

„Land Dinslaken“ war ein territorialer Begriff, der sich schon lange vorher eingebürgert hatte. Daneben und als Distriktsbezeichnung vergleichbar war im Herzogtum nur noch das „Land Kleve“. Nur einmal – 1572 – findet sich in einer Urkunde der Name „Land von Dinslaken und Schermbeck“, weil der Landdrost in Schermbeck saß und auch das Gebiet nördlich der Lippe mit verwaltet.

Unter Brandenburg/Preußen und Frankreich

Der Übergang Kleves auf die Grafen von der Mark im Jahre 1368 brachte keine großen organisatorischen Veränderungen. Auch die – ebenfalls durch Erbschaft – 1609 vorläufig und 1666 endgültig nachfolgenden Kurfürsten von Brandenburg übernahmen weitgehend die Verwaltungsgliederung, die sie vorfanden. Erst 1728 wurde das am Ende zu einer Sinekure abgesunkene Amt des Landdrosten abgeschafft. 1753 schließlich folgte die Einladung des Herzogtums Kleve in die drei Landkreise Kleve, Emmerich und Wesel. Den neuen Landräten unterstanden allerdings nur die Landgemeinden, nicht die Städte. Zwischen Emscher und Lippe gab es verwaltungsorganisatorisch nunmehr die Stadt Dinslaken, dazu die Ämter Götterswickerhamm, Gahlen, Holten und Spellen, sowie aufgrund von Privilegien die Herrlichkeiten Hünxe-Krudenburg und Voerde. Mit den Ämtern als üblicher Basiseinheit in den Herzogtümern und Kurfürstentümern und ihren Amtmännern und Drosten an der Spitze hatten die preußischen Ämter allerdings nur noch den Namen gemein. Sie waren meist kleiner und bestanden aus der Zusammenfassung von Dörfern, Kirchspielen und Bauernschaften, die gemeinsam verwaltet wurden.

Bild: Aus dem Urk. Buch f. d. Geschichte des Niederrheins von Lacomblet von 1840/58 (Bd. 4, Nr. 190). Die Auflistung erfolgte anlässlich eines Angebots von Herzog Adolf von Kleve an seinen Bruder Gerhard. Holten ist darin allerdings nicht genannt. Wegen des Zusammenhanges wurde es eingefügt (gehörte bis 1319 zum Kirchspiel Walsum). Älteste Kirche ist nach einer Schenkungsurkunde 874 die in Meiderich. Es sprechen aber Gründe dafür, dass die Walsumer Kirche noch älter ist. Die Kirchen von Spellen, Walsum, Hamborn und Sterkrade sind heute katholisch. Alle anderen sind seit der Reformation evangelische Kirchen.

Das nun war der Stand bis 1805, bis zu Abtretung der rechtsrheinischen Besitzungen Preußens an das napoleonische Frankreich. Die Franzosen gliederten sie in das neu geschaffene Herzogtum Berg ein, das dem kaiserlichen Schwager und General Murat unterstellt wurde, ehe ihn Napoleon zum „König von Neapel“ ausrufen ließ.

Im übrigen ließen sie in Nahbereich alles beim alten, „ernannten“ aber all die kleinen Dörfer mit oder ohne Kirche zu Gemeinden und gaben ihnen damit zumindest das Gefühl kommunaler Selbständigkeit, obwohl sie in den überkommenen Amtsverbänden blieben. Neben der Mitgift von „Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit“ erhielten die Ämter allerdings einen neuen Namen: „Mairie“ (Bürgermeisterei). Wirklich neu waren nur die Kantone (kleine Landkreise etwa) – hier Wesel, Ringenberg, Dinslaken, Duisburg und Essen. In Essen saß auch der Präfekt des Arrondissements, der nächsthöheren Etage über den Kantonen. Die Arrondissements wiederum gehörten zu einem Departement (Regierungsbezirk). Sie waren alle nach Flüssen benannt. Das hier zuständige Departement hieß „Rhein“ und hatte seinen Sitz in Düsseldorf.

„Dinslacker Kreiß“ (1815 – 1823)

Als dann aber die Preußen 1815 wieder in ihre alten Rechte eingesetzt wurden, bescherte dieser Neubeginn nach der napoleonischen Ära unserem „Lande“ unversehens wieder eine größere Mittelpunktsfunktion: Die Stadt Dinslaken wurde Sitz eines „Dinslacker Kreiß“ von beträchtlicher Größe. Wahrscheinlich war das dem Umstand zu verdanken, dass der Chef dieses Kreises – v. Buggenhagen – auf Haus Bärenkamp bei Dinslaken wohnte.

Aber schon 1823 war die „Kreiß“- Herrlichkeit wieder vorbei. Hatte Kleve mit dem neuen Organisationsplan der Preußen schmerzlich erfahren müssen, dass selbst die alte Herzogstadt nicht einmal mehr Sitz eines Regierungspräsidenten war, so machten auch die Dinslakener die nicht weniger schmerzliche Erfahrung, dass nur die Veränderung beständig ist, nicht aber ein Zustand. Ihre Stadt hatte auf der politischen Bühne des Niederrheins keine Hauptrolle, sondern nur mehr die eines Komparsen zu spielen. Der „shooting-star“ hieß Duisburg, das aus dem ehemaligen „Dinslacker Kreiß“ zwar Schermbeck verlor, aber den Raum Essen hinzugewann.

Bild: Die stetigen Veränderungen verdeutlichen die Ausdehnung des Ballungsraumes Ruhr: Im Süden wachsen die Städte und werden schließlich kreisfrei. Die Kreise indessen werden nach Norden abgedrängt. Etwas zeitversetzt verdichtet sich auch der Raum Dinslaken/Voerde. Am Ende verlagert sich der Schwerpunkt nach Wesel.

1873 und schon 1887 folgten abermals Veränderungen: Die mit der Industrie unaufhörlich wachsenden Ruhrgebietsstädte wurden abgetrennt und verselbständigt. Unser Dinslakener Land wurde zunächst einem Kreis Mülheim-Ruhr und schließlich einem Kreis Ruhrort zugeteilt, dem es bis 1909 angehörte.

Kreis Dinslaken (1909 – 1975)

Zwischenzeitlich hatte es in Anpassung an die sich ständig verändernden Bedürfnisse des Ruhrgebiets erneut Gemeindezusammenlegungen gegeben, und wieder mussten die Randkreise neu geschnitten werden. Nun schlug Dinslakens Stunde: Was die Reform übriggelassen hatte, wurde jetzt in einem Kreis Dinslaken vereinigt. Es war mit Ausnahme einiger Orte im Süden ungefähr jenes Gebiet, das weiland Herzog Adolf als sein „Land Dinslaken“ beschrieben hatte.

Stolze 166.000 Einwohner konnte man 1909 in der „Eröffnungsbilanz“ vermelden. Aber das Startkapital schmolz in weniger als zehn Jahren gewaltig zusammen. Schon 1911 musste das mit 100.000 Einwohnern zur Großstadt aufgestiegene Hamborn „ausgebucht“ werden. 1917 folgte Sterkrade, das ebenfalls kreisfrei geworden war.

Dann aber ließ man den durch Zuwanderungen wieder personell gewachsenen Kreis Dinslaken bis Mitte der 70er Jahre einigermaßen unbehelligt, ehe ihm in einer neuen Kommunalreform endgültig die Stunde schlug. Diese Reform war teilweise eine Reform früherer Reformen, überwiegend aber ein Unternehmen aus der Sicht der Landesplanung. Man wollte nicht mehr hinter der Entwicklung herlaufen, sondern Zukunftsplanung betreiben. Es musste nicht nur alles größer werden, sondern auch einer zentralörtlichen Gliederung entsprechen. Jetzt durfte der Rhein nicht mehr Grenze sein, sondern war eine Hauptentwicklungsachse, die ein Verwaltungsgebilde möglichst mitten zu durchschneiden hatte. Jedenfalls fanden sich Dinslaken und sein Kreis am 1. Januar 1975 in einem Großkreis Wesel wieder, der aus den ehemaligen links- und rechtsrheinischen Kreisen Dinslaken, Moers und Rees mit Sitz in Wesel geformt worden war.

Die Kreisverwaltung verließ nun das ehrwürdige Dinslakener Kastell, das jahrhundertelang klevischen, brandenburgischen und preußischen Spitzenbeamten als Amtssitz gedient hatte. Sie machte Platz für die Verwaltung der Stadt, in der man sich daran gewöhnen musste, dass nicht nur die Zentralität verloren gegangen war, sondern auch die alte Verbindung mit Walsum, das nun zu Duisburg gehörte.

Damit war das „Land Dinslaken“ nach fast 700 Jahren endgültig von der historischen Bühne abgetreten. Aber für die geschichtsbewussten Dinslakener bleibt es ein Heimatbegriff, und nicht von ungefähr haben sie sich in einem „Verein für Heimatpflege Land Dinslaken e.V.“ zusammengeschlossen.